15. September 2022 – 89.0 RTL
Das Bundesarbeitsgericht hat ein Grundsatzurteil gefällt. Arbeitgeber müssen fortan die Arbeitszeit verpflichtend erfassen. Das musst Du jetzt wissen.
Das Urteil des höchsten deutschen Arbeitsgerichts wird Auswirkungen auf Wirtschaft und Verwaltung haben. Vor allem dort, wo es aktuell noch Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice-Modelle gibt. Bislang mussten laut deutschem Arbeitszeitgesetz nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht aber die gesamte Arbeitszeit. Das musst Du nach dem Urteil zur Arbeitszeiterfassung jetzt wissen.
Für wen gilt die Arbeitszeiterfassung?
Das Arbeitsschutzgesetz gilt für alle Betriebe in Deutschland, ganz egal wie groß sie sind. Und das auch unabhängig davon, ob ein Betriebsrat existiert oder nicht.
Ab wann gilt die Arbeitszeiterfassung?
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gilt ab sofort. Laut Pressemitteilung des Gerichts heißt das: „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“
Wie muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Wie die Zeit erfasst werden muss, ist noch offen. Eine elektronische Erfassung ist nicht obligatorisch. Generell ist die Frage jedoch nicht neu.
Schon im Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vor drei Jahren hieß es, dass Arbeitgeber verpflichtet werden müssen, eine objektive, verlässliche sowie zugängliche Erfassung der Arbeitszeit einzuführen. Damit soll die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden.
Trotz erheblichen Aufwands empfehlen Arbeitsrechtler Unternehmen und Betrieben, so schnell wie möglich Lösungen zur Zeiterfassung im Arbeitsalltag zu installieren.
Wer muss bei der Arbeitszeiterfassung jetzt nachbessern?
Überall dort, wo bisher die sogenannte Vertrauensarbeitszeit galt, muss nachgebessert werden. Diese wurde jedoch auch schon bisherigen Vorgaben nicht ganz gerecht. Schon 2019 sah das Bundesarbeitsgericht die Sachlage so: Nur weil der Arbeitgeber Vertrauensarbeitszeit anbietet, heißt das nicht, dass der Arbeitnehmer keine Überstunden vergütet bekommt.
Die Auslegung des Bundesarbeitsgerichts zur Vertrauensarbeitszeit bedeutet also, dass der Arbeitgeber darauf vertraut, dass sein Arbeitnehmer oder seine Arbeitnehmerin nur so viele Überstunden leistet, wie zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner oder ihrer Arbeitsleistung erforderlich sind.
Jetzt jedoch wurde mit dem Urteil das Ende der Vertrauensarbeitszeit endgültig beschlossen. Wer also noch keine Form der Stechuhr installiert hat, muss nachziehen. Bisher mussten zudem nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das gehört jetzt der Vergangenheit an.
Welche Möglichkeiten zur Arbeitszeiterfassung gibt es?
Es gibt keine konkrete Vorgabe, wie die Arbeitszeit erfasst werden muss. Neben elektronischen Hard- und Softwaresystemen und Stechuhren, können auch simple Stundenzettel oder Exceltabellen zur Dokumentation der Arbeitszeit dienen.
Was passiert, wenn man die Zeiten nicht erfasst?
Grundsätzlich ist das Nicht-Erfassen der Arbeitszeit rechtswidrig. In größeren Betrieben kann u. a. ein Betriebsrat dazu auffordern die Arbeitszeit zu erfassen.
Arbeitszeiterfassung: So geht's nach dem Urteil jetzt weiter
Zunächst ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zudem als Grundsatzurteil zu betrachten. Das heißt: Für alle wurde verbindlich festgestellt, dass die Arbeitszeit von allen Arbeitgebern erfasst werden muss. Der Druck auf den Gesetzgeber steigt im Bereich der Arbeitszeiterfassung infolgedessen nun zusätzlich. Einige Gesetze müssen nun nachgebessert werden und der Übergang in die Zeiterfassung geregelt werden. Arbeitsrechtler gehen davon aus, dass die Entscheidung nun Gesetzgebungsverfahren befeuern wird.
Welche Probleme gibt es durch das Urteil zur Zeiterfassung?
Insbesondere bei den beliebten Vertrauensarbeit- oder flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie der Arbeit im Homeoffice ist nun mit Rückschritten zu rechnen. Denn das Urteil findet auch auf Homeoffice und Telearbeit Anwendung. Experten sprechen bereits vom Ende der Flexibilität der Arbeit im eigenen Wohnzimmer.